Rezension: Alice und ich
Die amerikanische Autorin Melanie Benjamin erzählt in ihrem Roman „Alice und ich“ das Leben der Alice Liddell. Geschrieben ist das Buch in der Ich-Perspektive: aus der Sicht von Alice.
Alice Liddell – das kleine Mädchen, was Lewis Carroll (eigentlich Charles Lutwidge Dodgson) dazu inspiriert hat, Alice im Wunderland zu schreiben. Dodgson pflegte eine intensive Freundschaft zu den drei Schwestern Alice, Ina und Edith. Besonders Alice schien es ihm sehr angetan zu haben.
Sie unternahm viel mit dem 20 Jahre älteren Mathematikdozenten und Photographen.
Dodgson erzählte den Schwestern gerne Geschichten. Außerdem fotografierte er Alice im Alter von 7 Jahren in nur knapper Bekleidung als Bettlermädchen.
Auf einer Ruderfahrt erzählte er die Geschichte, die er später, auf Alice Drängen hin, veröffentlichte und die zu einem Klassiker wurde: Alice im Wunderland.
Doch 1863 kommt es zum Bruch zwischen Alice und Dodgson. Was genau der Grund ist, wird man nie erfahren, denn Alice Mutter verbrannte alle Briefe, die er der jungen Alice geschrieben hatte. Niemand aus der Familie äußerte sich zu den Umständen. Dodgsons Erben zerrissen schließlich die Seiten aus dem Tagebuch des Autors, die mit diesem Bruch zu tun hatten.
Wie verlief Alice Leben? Das hat Melanie Benjamin meiner Meinung nach hervorragend geschildert. Vieles sind natürlich nur Spekulationen. Hatte Prinz Leopold wirklich Interesse an Alice oder an ihrer jüngeren Schwester Edith? Im Buch jedoch sind die beiden ein Paar, was jedoch auf Wunsch der Königin nicht heiraten darf.
Als junge Frau lässt sich Alice wieder von Dodgson fotografieren. Zusammen mit Leopold und ihren Schwestern besuchen sie den Dozenten. Im Buch werden die Gefühle der jungen Frau geschildert. Ich konnte mich in ihre Lage hineinversetzen und immer wieder kam in mir die Frage auf: was war geschehen zwischen den beiden? Hatte der ältere Mann Gefühle für die kleine Alice? War er vielleicht pädophil? Weshalb begegnete er viel später der erwachsenen Alice, inzwischen Mutter von drei Jungen, so distanziert? Wieso konnte er kleine Jungen nicht leiden, dafür aber kleine Mädchen?
Und wie mag Alice sich gefühlt haben, immer die Alice aus dem Wunderland zu sein? Zumindest die letzte Frage kann durch das Buch beantwortet werden. Was fiktiv ist und was nicht, weiß ich nicht genau. Aber die Gefühle dürfte die Autorin doch ziemlich gut widergespiegelt haben. Alice, als Kind, die sich nicht richtig von der Mutter geliebt fühlte, die in Dodgson einen Freund gefunden hat, die ihre große Liebe, Prinz Leopold, verlor und schließlich ihre Schwester Edith. Die Alice, die mit 28 Jahren einen Mann heiratete, der in ihr nicht das kleine Mädchen aus dem Buch sah, sondern die Alice, die sie wirklich war.
Viele Gefühle werden geschildert. Alice hat zwei Söhne im Ersten Weltkrieg verloren. Man kann sich gut in ihre Lage hineinversetzen. Man spürt den Schmerz der Mutter.
Das ganze Buch ist wunderbar geschrieben. Man bekommt einen Einblick in das viktorianische Leben, in das Leben der Alice Liddell. Ich kann es wirklich jedem empfehlen.
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